Ungerechtes Deutschland: Gab´s die Quittung beim ESC?
Experten rätseln: Warum schneidet Deutschland beim ESC zuletzt so schlecht ab? War es das Lied, der Text, das Outfit oder vielleicht sogar eine Verschwörung? An das Gerechtigkeitsempfinden als Grund der Niederlage denkt offenbar keiner. Dabei liegt dieser Grund mehr als auf der Hand.
Um was geht es denn bei einem Musikwettbewerb wie dem ESC? Genau, Menschen vor dem Bildschirm und in einer Jury vergeben Punkte an Künstler, die ihrer Meinung nach den Sieg verdient haben. Aus diesem Satz kann man schnell ableiten, dass es um das Gerechtigkeitsempfinden geht: geben und verdienen! Beide Komponenten sind wesentliche Komponenten des menschlichen Gerechtigkeitsempfindens: Wer etwas zu geben hat, gibt es dem, der es in seinen Augen am meisten verdient. Das sind so gut wie nie diejenigen, die als reich gelten oder von denen man glaubt, dass sie alles oder zumindest mehr als man selbst haben. Da gibt man schon viel lieber den Armen oder Gebeutelten, denen es schlechter geht. Das ist ein seit jeher im Unterbewusstsein des Menschen verankerter Mechanismus. Und Teil des menschlichen Gerechtigkeitsempfindens. Und aus meiner Sicht auch ein guter Ansatz, die erneute schmerzhafte Niederlage beim ESC zu verstehen.
Dem Reichen gibt man ungern
Wir Deutschen gelten als reich. Jahrzehnte verfolgte die deutsche Außenpolitik das, was man gemeinhin als „Scheckbuch-Diplomatie“ bezeichnete. Wenn es Probleme gab, dann bezahlte man und kaufte sich die Sorgen weg. Auch die deutsche Wirtschaft war viele Jahre berühmt/berüchtigt für ihre Schmiergelder. Es gab dabei Zeiten, da konnte man Schmiergelder sogar von der Steuer absetzen! Heute noch treten die deutschen Politiker als die reichen Granden/Retter Europas auf, die es dank einer (noch) brummenden Wirtschaft zu soviel Geld gebracht haben scheinen, dass wir es an notleidende Länder geben können. Das sind nur Beispiele dafür, dass man uns Deutsche immer mit Wohlstand und Reichtum in Verbindung bringt. Und nun denken wir uns mal in die Abstimmung des ESC. Alle Lieder sind irgendwie gleich, große qualitative Ausreißer gibt es nicht, auch keine überragende Musiker Persönlichkeit. Mangels qualitativer Unterscheidungsmerkmale findet die Entscheidung also anhand anderer Kriterien statt. Es wird demjenigen der Sieg gegeben, der ihn nicht aufgrund des besten Liedes, sondern ALLER Umstände zu verdienen scheint. Maßstab ist hier das, was die Menschen wissen oder glauben (zu wissen). Und das könnte so abgelaufen sein: Wem also die Punkte geben? Dem (reichen) deutschen Girlie, dem derart zu wohl zu sein scheint, dass es sich als volljährige Frau noch Plüschtiere auf den Kopf setzt und (wie viele andere Deutsche auch) scheinbar nicht erwachsen werden will? Diesem deutschen Girlie, das sich die Extraschleife in der Kindheit deshalb leisten kann, weil sie in einem reichen Land durchgefüttert zu werden scheint? Oder dann doch lieber der armen Sängerin von der Krim, deren Großeltern schon vertrieben wurden und die nun das gleiche Schicksal zu haben scheint (Vermutlich residiert sie eher in einer guten Wohnung, aber das weiß keiner)? Die arme Ukrainerin, die uns dann auch noch ausdrücklich mit ihrem Lied und dem Text auf ihr Schicksal aufmerksam macht? Es sehr menschlich, dass die Stimmen und die Herzen den vermeintlich Armen zufliegen anstatt den Reichen auch noch den Sieg zu gönnen. Der Wirtschaftspsychologe und Nobelpreisträger hat das in seinem „Frame-Figure-Modell“ sehr anschaulich dargestellt. Wir Menschen gewichten bei einer Entscheidung (unterbewusst) mehr den Hintergrund (70%) einer Person als die Person (30%) selbst. Dieser Bewertungsprozess ist auch ein Teil des Gerechtigkeitsempfindens! Und in diesen Bewertungsebenen schneidet die Ukraine eben momentan am besten ab! Ob Deutschland nun ungerecht ist oder nicht, spielt bei der Entscheidung keine Rolle, denn es kommt alleine auf das Empfinden an.
Auf den Hintergrund kommt es an
Wenn nun die vielen Experten in der Musik, der Kleidung oder einer Verschwörung den Grund der Niederlage suchen, missachten sie Kahnemans (nobelpreisprämierte) Studie. Der Hintergrund beeinflusst unsere Entscheidung! Vielleicht sollten wir Deutsche uns zügig wieder anders präsentieren, beispielsweise wie die Nationalmannschaft bei der WM 2014 in Brasilien: zurückhaltend und höflich anstatt geldig und national.
P.S. Jamie-Lee hat gut gesungen, aber vermutlich nie eine echte Chance!